Tausende Hörbücher erscheinen jedes Jahr auf dem deutschsprachigen Markt. Sicher sind es hunderte Neuerscheinungen, die dann von zahlreichen Medien bewertet werden – jeder Redakteur und auch jeder Hobbykritiker kann auf einen großen Hör-Erfahrungsschatz bauen. Doch nach welchen Kriterien urteilt ein Rezensent, und was macht eigentlich ein gutes Hörbuch aus? Machen Sie den Test mit der folgenden Qualitäts-Checkliste und dem Hörbuch, das Sie gerade hören!
Text und Foto: René Wagner
Ist Qualität messbar? Schön wäre es! Denn was „gut“ oder „schlecht“ ist, hängt stark vom individuellen Geschmack des Hörers ab. Selbst wenn alle einigermaßen objektiven Kriterien „abgeklopft“ sind, bleibt immer noch die höchst subjektive Frage nach der Qualität des Inhalts, beispielsweise des Buchromans, der als Vorlage für die Hörbuch-Umsetzung herhalten musste. Und so bleibt uns Hörern auf der Suche nach einem guten Hörbuch nichts anderes übrig, als uns die Ohren „wund“ zu hören:
Auf die Hör-Erfahrung kommt es an!
Denn wer viele Produktionen kennt, kann gut vergleichen und baut sich einen immer größeren Erfahrungsschatz auf.
Doch daneben gibt es auch zahlreiche eher objektive Aspekte, mit denen sich ein Hörbuch relativ leicht in eine der Kategorien gut, mittel oder schlecht einordnen lässt.
Mit der folgenden „Anleitung“ möchte ich Ihnen eine kompakte Checkliste mit Qualitätskriterien an die Hand geben, nach denen Sie selbst Hörbücher bewerten können. Immer im Mittelpunkt steht dabei die Frage: Worauf soll ich achten?
Ein Punktesystem, das die einzelnen Bereiche unterschiedlich gewichtet, ergibt unter dem Strich eine mehr oder weniger gute Note für das Hörbuch. Versuchen Sie daher, Ihre Punktevergabe für jedes Kriterium genau abzuwägen (auch im Vergleich mit anderen gehörten Hörbüchern), und tragen Sie den Wert entsprechend ein.
Also, ran an Ihre erste Rezension! Ich wünsche allen Hörern viel Spaß – und den Produzenten hoffentlich nur gute Noten.
René Wagner
DIE CHECKLISTE
Check 1: Sprecher und Regie (Höchstpunktzahl: 30)
Ein Hörbuch steht und fällt mit dem Sprecher – eine Grundregel, die immer noch von vielen Rezensenten, auch großer etablierter Medien, nicht ausreichend beherzigt wird. Da das Hörbuch eine eigenständige Form der Literatur ist und „Lesen mit den Ohren“ anders funktioniert als mit den Augen beim klassischen Buch, hat das Medium es folgerichtig verdient, dass sich diese Regel immer mehr durchsetzt. Und selbstverständlich braucht auch jeder Sprecher eine eigene Regie, denn auf das Zusammenspiel mit dem Text kommt es an.
Stellen Sie sich beim Hören diese Fragen:
- Bringt der Sprecher das Hörbuch zum Klingen und damit zum Leben?
- Wie gut ist die Interpretation, und passt der/die Sprecher/in überhaupt zum Text? Hört man ihm/ihr gerne länger zu?
- „Zieht“ der Sprecher den Hörer mit den ersten gelesenen Sätzen in die Erzählung?
- Liest er im richtigen Tempo, nicht zu langsam oder zu schnell – oder im schlimmsten Falle wie abgelesen?
- Setzen Sprecher und Regie der Handlung angemessene Akzente?
- Wird Modulation eingesetzt, an wirkungsvollen Stellen eine Pause gemacht und der Handlung entsprechend das Tempo gewechselt?
Check 2: Inhalt und Bearbeitung (maximal 25)
Ähnlich wichtig wie die Leistung des Sprechers ist die Qualität der literarischen Vorlage bzw. des Stoffes, auf dem ein Originalhörspiel oder Feature basiert. Und viele Verlage machen sich eine Heidenarbeit mit der Bearbeitung, die manchmal sogar Schwächen der Buchvorlage abmildern kann.
- Wie gut wirkt die literarische Vorlage oder der für das Hörbuch geschriebene Text?
- Kommt man gut „rein“, oder braucht das (Hör-)Buch einen langen Anlauf?
- Ist die Handlung / das Ende vorhersehbar?
- Erscheint die Sprache eher zäh oder lebendig?
- Ist das, was gelesen wird, inhaltlich gut zu verstehen, oder muss man ständig „Sinn herstellen“, das Gelesene im Geiste „reparieren“?
- Ist die Bearbeitung des Textes adäquat ausgeführt worden?
- Gab es Kürzungen, die den Sinn entstellen?
- Ist der Stoff überhaupt geeignet für eine Hörbuchumsetzung, oder wirkt die Produktion „erzwungen“?
- Funktioniert das Hörbuch unabhängig vom Buch, eben wie eine eigenständige Version?
Check 3: Musik und Geräusche (maximal 10)
Ob bei der szenischen Lesung oder beim Hörspiel: Weniger ist mehr, heißt die Devise bei Musik und Geräuschen – je nach Roman müssen sie, wenn überhaupt eingesetzt, einfach passen.
- Werden Musik und/oder Geräusche dramaturgisch stimmig eingesetzt, oder wirken sie „draufgepfropft“?
- Ist es unnötige Dudelmusik oder im Gegenteil viel zu opulente Musik, die gegenüber dem Text dominiert?
- Schafft es die Musik vielleicht sogar, als eine eigenständige Erzählfigur zu wirken?
Check 4: Die Aufnahme (max. 10)
Brillant muss ein Hörbuch klingen – das sollte eigentlich klar sein, und doch gibt es leider immer wieder Ausnahmen.
- Ist der Klang sauber, sogar besonders brillant?
- Ist die Aufnahme nicht zu leise oder zu laut?
- Machen Dynamiksprünge das Hören im Auto oder per Kopfhörer zur Qual?
- Ist die Produktion in genügend kleine Abschnitte unterteilt worden?
Check 5: Verpackung und Ausstattung (max. 10)
Die meisten „Hüllen“ auf dem Markt begeistern mit bibliophiler Anmutung, die dem guten alten Buch in nichts nachsteht.
- Sind wichtige Angaben auf dem Cover und der Rückseite enthalten? (Hörbuchgattung, Autor, Inhalt, Laufzeit, evtl. Kürzungen)
- Gefallen Aufmachung und Ausstattung?
- Passt die Verpackung zum Preis?
- Ist ein Booklet mit interessanten Zusatzinformationen enthalten, oder dient es nur als reiner Werbeträger für weitere Hörbuchtitel?
Check 6: Rezensionen und Preise (max. 5)
Wenn das Hörbuch, das Sie bewerten, schon einen oder mehrere Preise gewonnen hat, kann auch dieser Aspekt für die Bewertung hilfreich sein. Nicht zu verachten ist auch das Renommee des Verlags, immerhin ein Indiz für die höhere Wahrscheinlichkeit von Qualität – wobei man dies natürlich nicht verallgemeinern und auf alle Produktionen anwenden kann.
- Was sagen Kritiker in Fachpresse und Online-Magazinen zu dem Hörbuch?
- Wurde das Hörbuch schon durch Insidertipps, etwa in Internetforen, empfohlen?
- Gab es bereits Nominierungen oder Auszeichnungen, z.B. vom Deutschen Hörbuchpreis oder der hr2-Hörbuchbestenliste?
- Ist eventuell die Buchvorlage prämiert worden?
- Steht das Hörbuch auch auf Bestsellerlisten, die immerhin die Beliebtheit widerspiegeln?
- Gehört der Verlag zu den am meisten ausgezeichneten Hörbuchverlagen? (eine Top 40 gibt es in Abständen im Hörbuch-Special des Fachhandelsmagazins „BuchMarkt“)
- Hat der Verlag allgemein einen guten Ruf in Bezug auf die Qualität seiner Hörbücher?
Das Endergebnis
Unabhängig von der Gesamtnote, die sich an dieser Stelle durch Addition der einzelnen Punkte und Einsortierung in die Bewertungskategorien ergibt, sollte man sich – diesmal rein subjektiv – drei weitere wichtige Fragen stellen:
- Haben Sie beim Hören schnell vergessen, dass Sie etwas vorgelesen oder vorgespielt bekommen?
- Ist allgemein das Preis-Leistungs-Verhältnis in Ordnung?
- Würden Sie das Hörbuch einem Hörbuch-Anfänger zum Einstieg in die „erlesene“ Literatur empfehlen?
Und nun: die Abrechnung!
- 90 bis 100 Punkte: überragend – ganz klar mit Wow-Effekt
- 80 bis 90 Punkte: sehr überzeugendes Hörvergnügen
- 60 bis 80 Punkte: empfehlenswert
- 40 bis 60 Punkte: kann man sich noch anhören, eventuell nur für Liebhaber
- 20 bis 40 Punkte: wenig empfehlenswert
- 0 bis 20 Punkte: nicht empfehlenswert
Und wie viele Punkte hat Ihr Hörbuch erreicht?
Schreiben Sie das Ergebnis in die Kommentare und helfen Sie anderen Hörbuch-Fans bei der Auswahl. Ich freue mich schon auf Ihre Wertungen.