Am 15. März ist es wieder so weit: Prominente aus Funk und Fernsehen, Blitzlichtgewitter, eine Live-Übertragung des RBB, die Besucher drängen sich dicht an dicht – solche Szenen kennt man von großen Filmpreisverleihungen.
Doch welche Überraschung: Jedes Jahr im März dreht sich hier alles um den „Deutschen Hörfilmpreis“, der in einer glanzvollen Gala in Berlin vergeben wird – und die ist tatsächlich vergleichbar mit einer „Oscar“-Verleihung. Der Rückblick auf die letzte Verleihung gibt einen guten Eindruck. Aber was sind Hörfilme überhaupt? …
Aufmacherbild: (C) DBSV / Franziska Krug
„Krabat“, „Sophie Scholl“, „Die Päpstin“, „Lissi und der wilde Kaiser“ – nur wenige Filmliebhaber wissen, dass diese und zahlreiche weitere Filme eine Besonderheit gemeinsam haben, die für viele Menschen eine unschätzbare Hilfe ist. Von den etwa 700.000 Sehbehinderten in Deutschland nutzt der größte Teil als zentrales Unterhaltungsmedium Filme – aber am liebsten dann, wenn sie eine zusätzliche Audiofassung enthalten, die den „Seh-Film“ zu einem echten Hörfilm macht.
Egal ob Filme im Fernsehen oder auf DVD: „Audiodeskription“ nennen sich die beschreibenden Texte, die Nichtsehenden den Zugang zu visueller Kultur verschaffen. In den Dialogpausen erklärt ein Sprecher die Szene, die Optik, das Geschehen – und zwar so, dass die Handlung auch für bloße Zuhörer zu einem funktionierenden Ganzen wird.
Verantwortlich für das „Projekt Hörfilm“ ist die Deutsche Hörfilm gGmbH des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV), die Fernsehen, Kino, Video, DVD und Theater durch akustische Bildbeschreibungen für Blinde zugänglich macht. Kooperationspartner sind u.a. das ZDF, Kinowelt Home Entertainment und die Internationalen Filmfestspiele Berlin. Von Kinowelt gibt es beispielsweise die DVDs „Der englische Patient“, „Der Fuchs und das Mädchen“ sowie die Fußball-Doku „Deutschland – ein Sommermärchen“, aber auch Klassiker wie „Leoparden küsst man nicht“ und die originalen „Sissy“-Filme.
Gebt Hörfilmen eine Chance!
Gerade mal gut 100 DVDs mit Filmen, die eine Audiodeskription beinhalten, sind aktuell lieferbar. Eine regelmäßig aktualisierte Übersicht findet sich auf www.hoerfilm.de in den Rubriken „DVD“ und „Filme für Kinder“. Im Vergleich zum unüberschaubaren DVD-Markt allgemein mutet die Zahl zwar peinlich gering an, macht jedoch Interessierten die Auswahl einfacher.
„Auch viele Sehende finden Hörfilme faszinierend, und speziell Schauspieler freuen sich, wenn sie mit ihrer Kunst sogar Blinde erreichen können“, erklärt DBSV-Pressesprecher Volker Lenk. Für viele Akteure sei es eine neue Erfahrung: „Wenn ich einen Hörfilm sehe, fühle ich mich zurückversetzt zu dem Moment, wo ich die Drehbuchfassung gelesen habe“, meinte „Tatort“-Kommissar Boris Aljinovic anlässlich der Verleihung des Deutschen Hörfilmpreises in Berlin. „Im Drehbuch hat man nur die Worte! Ich lese das auch gerne mal lauter – zum Beispiel: Mann kommt in den Raum, sieht dieses oder jenes, dreht sich um, blickt noch mal zurück usw.“
Auf die oft zitierte Umschreibung „Kino im Kopf“ verweist Filmregisseur Volker Schlöndorff, der 1979 den „Oscar“ für „Die Blechtrommel“ erhielt, in einem Interview für das Portal Hoerfilm.de: „Ein Film entsteht nicht auf der Leinwand, sondern im Kopf des Zuschauers – und in dem Sinne ist auch der Blinde ein Zuschauer. In seinem Kopf entsteht ein Film, der vielleicht zum Schluss anders ist als der Film, den der Sehende gesehen hat, der aber auch seine Kraft hat.“ So könnten sich Hörfilme laut Schlöndorff angesichts der künstlerischen Herausforderung zur „regelrechten Kunstform“ entwickeln.
Übrigens können Firmen, die den Hörfilm-Gedanken unterstützen wollen, Patenschaften übernehmen und die Erstellung einer Audiodeskription sponsern: „Wenn man überlegt, dass die Produktion eines Hörfilms rund 5000 Euro kostet und man damit tausende Menschen an Kultur teilhaben lassen kann, dann lohnt sich das auf jeden Fall“, ist Michael Klein überzeugt – er ist Mitglied der Geschäftsführung des Pharmaherstellers Pfizer, der sich u.a. als Hauptsponsor der Hörfilmpreis-Verleihung für die Teilhabe von Behinderten am kulturellen Leben einsetzt. Nähere Informationen liefert die Webseite www.hoerfilm-patenschaften.de.
Dass die Verleihung ein echtes Ereignis ist, sieht man – neben dem offiziellen Rückblick-Video – zum Beispiel auch hier:
Die Auswahl von Filmen, die mit akustischen Untertiteln versehen werden, richtet sich nach verschiedenen Kriterien. Große Chancen auf eine Audiodeskription haben Filme, deren Stoffe bereits ein breites Publikum gefunden haben – oder wenn sie zum Beispiel als Filmklassiker gelten. Bei Sendungen im Fernsehen sind Ausstrahlungen auf attraktiven Sendeplätzen und hohe Wiederholungsprognosen wichtig, ebenso in anderen Programmen.
Erstellt werden die Deskriptionen von dafür geschulten „Filmbeschreibern“, die möglichst knappe und ausdrucksstarke Texte erarbeiten – im Verbund von sehenden und blinden Mitarbeitern. Denn oft kommt es vor, dass Sehende nur schlecht nachvollziehen können, welche Informationen Nichtsehende aus einer Tonspur heraushören. Schließlich werden die beschreibenden Texte im Studio eingesprochen, die Aufnahme mit der Originaltonspur abgemischt und auf die zweite Spur des Sendebandes kopiert. Diese kann dann gezielt abgerufen und gehört werden – für viele Blinde ein echtes Aha-Erlebnis.
„Um Filme zu lieben, muss man sie nicht sehen“
So entstand der Slogan des DBSV – „Um Filme zu lieben, muss man sie nicht sehen“ –, nachdem der (blinde) Geschäftsführer Andreas Bethke zum ersten Mal „Casablanca“ mit Audiodeskription erlebt hatte. „Am nächsten Tag im Büro kam er aus dem Schwärmen nicht mehr heraus“, erinnert sich Volker Lenk. „Ich habe mich mit ihm darüber unterhalten, dass er sich als Blinder in diesen Film verliebt hatte, und er sagte: Tja, dafür muss man nicht sehen können!“
So gilt mein Plädoyer diesmal der etwas anderen Form eines Hörbuches. Interessierte Filmliebhaber, die auch gerne Geschichten hören (oder für sehbehinderte Freunde oder Verwandte ein Geschenk suchen!), sollten unbedingt einmal die Tonspur wechseln, die Augen zumachen und in eine andere Welt eintauchen – über den zweiten Tonkanal beim Fernseher bzw. die „Audio“-Taste beim DVD-Player.
Fazit: Gebt Hörfilmen eine Chance! Ja, das ist auch mein Wunsch an die vielen Firmen da draußen, die eine neue Sponsoring-Möglichkeit suchen (nochmal ganz dezent die Adresse: www.hoerfilm-patenschaften.de). Bitteschön, es kann doch nicht sein, dass es bei über 30.000 DVDs auf dem Markt nur schlappe einhundert mit Hörfilm-Tonspur gibt, oder?
Also, achten Sie mal auf die Berichterstattung rund um den 15. März – dann wird der 14. Deutsche Hörfilmpreis verliehen. Die Liste der Nominierten ist lang und macht Lust auf ein „Hörbuch-Kino“ der ganz anderen Art. Schließlich passt der Werbeslogan des Preises auch zum Medium Hörbuch: Wer Geschichten liebt, muss keinen Film dazu sehen – der entsteht im Kopf. Und genau das leisten Audiodeskriptionen für Sehbehinderte.