Ein Rundfunkabend. Orchestermusik. Dann: eine Explosion! Und noch eine… Am 31. Oktober 1938 landen Marsbewohner in New Jersey. Ein aufgeregter Radioreporter berichtet von Außerirdischen, von ihrem Angriff auf die Bevölkerung, von Giftgas und Lichtblitzen. Die Hörer erleben mit dem Hörspiel „Der Krieg der Welten“ ein beklemmendes, allzu realistisches Szenario, das auch heute noch seinen ganz besonderen Reiz ausmacht. Und das ist nur ein Grund, warum sich der Hörverlag vor vier Jahren für eine Neuveröffentlichung entschieden hatte – nicht nur auf CD, sondern auch: auf Vinyl. Ein Beitrag zum 80-jährigen Geburtstag dieses legendären Hörspiels.
Text und Fotos: René Wagner
Um mich herum üben sie schon: schrecklich verunstaltete Gruselwesen – ob es mich schaudert oder nicht, allesamt nenne ich sie meine Familie. Meine Söhne haben sich als Sensenmänner verkleidet, meine Tochter als vampirhafte Fledermaus, und meine Frau als blutrünstige, mit Brandblasen übersäte Köchin würde wohl alle Kostümwettbewerbe der Region gewinnen. Diese Ansammlung von, sagen wir, optisch Gestörten macht es schwierig, einen Artikel zu verfassen. Keine Ahnung, was mich dazu veranlasst hat, mit dem Schreiben am 31. Oktober 2014 zu beginnen – und doch passt es wie die Narbenfaust aufs blutige Auge. Und jetzt, vier Jahre später, soll auch dieser Beitrag eine kleine Renaissance erleben, denn die Ausstrahlung des legendären Hörspiels feiert einen stolzen Geburtstag.
Damals, am Tag des Artikel-Beginns, war es 76 Jahre her – und heute sind es schon runde 80 Jahre: Nach der Ausstrahlung des wohl berühmtesten Hörspiels aller Zeiten bekomme ich ein Gefühl dafür, wie das wohl auf die Hörer des US-Senders CBS gewirkt haben mag, als das völlig normal anmutende Radioprogramm urplötzlich unterbrochen wurde und der Reporter von einem schrecklichen Angriff berichtete. Die meisten Hörer zweifelten, schon wegen des Halloween-Tages, an der Echtheit, waren aber ungemein fasziniert und ergriffen – und sicher gab es auch den einen oder anderen, der verstört aus dem Fenster in die Straßen horchte oder in den Himmel schaute. Allerdings war die so oft kolportierte Legende von der „großen Massenhysterie“ unter US-Hörern nach aktueller Forschung eher eine PR-Inszenierung.
Im Alter von nur 23 Jahren gelang dem Regisseur, Schauspieler und Autor Orson Welles der mediale Durchbruch durch diese sensationelle Radio-Adaption des Science-Fiction-Romans von H. G. Wells. Er nutzte wie vor ihm kein anderer die Inszenierungsmöglichkeiten des „Kopfkinos“ namens Hörspiel: Die akustische Dramatisierung der Buchvorlage, vor allem durch das Drehbuch von Howard Koch, war so beeindruckend, dass sie auch heute noch als Meilenstein in der Geschichte der Massenmedien gilt. Das Ereignis blieb auch in Deutschland nicht unbeachtet und bewog – man stelle sich das vor – selbst Adolf Hitler dazu, in einer Reichstagsrede auf die „verlogene wie niederträchtige Pressehetze“ einzugehen sowie auf „künstliche Panikmache, die am Ende so weit führt, dass selbst Interventionen von Planeten für möglich gehalten werden und zu heillosen Schreckensszenen führen“.
80 Jahre später vermag das Hörspiel nicht mehr ganz so irreführend zu sein – doch auch heute noch umweht die Produktion eine ganz eigene Faszination, was die Königsklasse des Hörbuchs zu leisten imstande ist. Nicht umsonst gab es zahlreiche Nachahmer im Laufe der Jahrzehnte: 1977 „übersetzten“ bekannte Radiojournalisten des WDR quasi „live“ die englischen Originalszenen und brachten so scheinbar echte Nachrichten über die Invasion. Zwanzig Jahre danach sprachen Schauspieler der Fernsehserie „Star Trek“ eine amerikanische Neufassung, und zu Halloween 2010 übertrug ein Hamburger Radiosender in „Ufos über der Elbe“ die Story ins Deutsche.
Die Faszination nachzuempfinden und dabei auch noch in nostalgische Schwärmerei zu verfallen, ermöglicht der Hörverlag seit Mitte Oktober 2014 allen Liebhabern audiophiler Meisterwerke: „The War of the Worlds“ gibt es in neuer Aufmachung im Handel – aber nicht nur auf CD, sondern auch auf einer Schallplatte! Und wie die hergestellt wird, ist unendlich spannender als die Produktion ihres silbernen Nachfolgers. Doch dazu später mehr.
Warum überhaupt Vinyl als Tonträger? Die Antwort ist einfach: Weil die Nachfrage da ist – und weil sie stetig steigt. Das Hörspiel „Der Hobbit“, das erste Vinylprojekt des Verlags, verkauft sich seit einem Jahr sehr gut. Die Verkaufszahlen nur auf Deutschland gerechnet, sind seit dem Erscheinen an jedem Verkaufstag (gerechnet bis 2014) irgendwo übers Land verstreut mehr als fünfzehn Exemplare à 70 Euro über die Ladentheken gegangen – und schon damals neigte sich die bloße Erstauflage von 7000 Stück (zusammen 49.000 Schallplatten!) dem Ende entgegen. „Zuerst wollten wir eigentlich nur 500 Exemplare fertigen lassen, weil wir uns der Pionierarbeit bewusst waren“, erzählt Pressesprecherin Heike Völker-Sieber. „Aber mit jedem Gespräch, das wir in der Branche führten und uns ermutigte, aus dem Imageprojekt auch einen Verkaufserfolg zu machen, wuchs nach und nach die Erstauflage.“
Diesmal aber mussten Hörspiel-Liebhaber, die etwas Besonderes in der Hand halten und dann „zwischen den Ohren“ genießen wollen, schnell sein: Die Erstauflage beim „Krieg der Welten“ war deutlich niedriger. Vom zweiten Vinyl-Ausflug des Verlags waren nur 1000 Exemplare produziert worden, die auch wegen des Verkaufspreises von rund 25 Euro bald vergriffen waren. Die schwarz gerillten Polyvinylchlorid-Scheiben – mit weißer Schrift auf schwarzem Label – sind umhüllt in aufwendig gestalteter, oben abgerundeter Langspielplatten-Verpackung. Als Highlight für die Fans gilt das originelle Cover mit einem Radioempfänger im Retro-Look, der durch die Anordnung von Lautsprechern und analoger Frequenzanzeige die Form eines „außerirdisch“ anmutenden Gesichtes bekommt.
„Die Ausstattung muss extrem stimmig sein, sonst macht das ganze Projekt keinen Sinn“, macht Heike Völker-Sieber deutlich. Abgesehen davon, dass sich mit der „Krieg der Welten“-Schallplatte auch Mitarbeiter des Verlags einen lang gehegten Wunsch erfüllten, so die Pressesprecherin, sei der Imageeffekt schon beim „Hobbit“ beträchtlich gewesen – die Sonderproduktion rücke den Hörverlag in den Fokus. „Und natürlich will man sich auch einfach mal was gönnen und den Kunden etwas ganz Besonderes außer der Reihe bieten.“
Das Flair des Besonderen spürten denn auch die Journalisten, die die Vinylproduktion bei optimal media in Röbel an der Müritz hautnah verfolgen durften. In der Hand halten durften sie die fertigen Platten aber nicht – rein der Hitze wegen, denn jede Platte, für deren Herstellung gerade mal eine halbe Minute nötig ist, landet mit einer Temperatur von gut 140 Grad auf dem Produktionsstapel.
Acht Stunden später sind alle eintausend Exemplare gepresst, sechs weitere Stunden später getrocknet. Von der Eingangskontrolle der Audiodaten über den galvanischen Herstellungsprozess bis zum Trocknen des LP-Labels im kühlschrankgroßen Ofen – die schwarzen Scheiben haben einen langen Weg hinter sich.
Zwar ist „The War of the Worlds“ eine absolute Nischenproduktion für eines der größten Presswerke Europas, das als „Mediendienstleister“ mit über 600 Mitarbeitern jedes Jahr mehrere hundert Millionen Datenträger, Verpackungen, Bucheditionen und Druckprodukte realisiert. Trotzdem strahlt Petra Funk, Assistenz der Geschäftsleitung, sichtlich bei der Präsentation auch dieses vergleichsweise „kleinen“ Vinylprojektes: „Wir nehmen jeden Auftrag sehr ernst und freuen uns über jeden Kunden, der mit uns sozusagen den analogen Weg gehen möchte. Und natürlich ist es immer wieder schön, wenn das fertige Produkt vor einem liegt.“
Ein „Krieg der Tonträger-Welten“ im Vergleich zwischen Vinylplatten und CDs bahnt sich wohl noch lange nicht an – und doch ist der Trend hin zur „warmen natürlichen Platte“ im Gegensatz zur „kalten digitalen Scheibe“ kein kurzlebiger, sondern erkennbar langanhaltend. „Alles, was heute im Musikbereich Rang und Namen hat, kommt auf Platte“, stellte Petra Funk schon 2014 kurz und knapp fest. 2012 sei das Interesse der Musikindustrie „extrem gestiegen“: Damals fielen schon sieben Millionen LPs, aufs Jahr gerechnet, bei optimal media vom Greifer auf den Produktionsstapel. Ein Jahr später waren es schon neun Millionen, und das Geschäftsjahr 2014 schlossen die Röbeler mit weit über 13 Millionen hergestellten Vinylplatten ab – allein im damaligen August waren es 1,3 Millionen. Funk resümierte: „Vinyl ist eine wichtige Säule, der Anteil liegt schon bei 20 Prozent am Gesamtumsatz.“
Überhaupt erlebt die Schallplatte hierzulande seit Jahren eine Renaissance – während die Zahl der insgesamt in Deutschland hergestellten CDs langsam, aber stetig zurückgeht. Als optisches und haptisches Erlebnis – im Gegensatz zur heutigen Welt, die von digitalen Inhalten dominiert wird – kommt der LP wieder eine wachsende Bedeutung zu. Darüber hinaus schätzen Musikkenner das Klangerlebnis, weil eine Originalaufnahme und eine gute Pressung ungleich mehr musikalische Nuancen bereithält als eine CD-Einspielung oder gar ein MP3-Track.
Diese Nuancen werden beim „berühmtesten Hörspiel aller Zeiten“ (Zitat des „Tagesspiegel“) eher weniger gefragt sein – viel mehr jedoch das Gefühl, in eine Zeit zurückversetzt zu werden, als man bei akustischen Meisterwerken noch nicht an Konsum und Kommerz dachte. So passt das, was die „ZEIT“ schon über die luxuriöse „Hobbit“-Ausgabe schrieb, auch wunderbar zum „Krieg der Welten“: „Es ist ein großes Vergnügen, sich diese Geschichte von schwarzen Scheiben erzählen zu lassen. Und wer dabei die Platten wendet und wechselt, vergisst rasch, wie unbequem das ist, sondern genießt das konzentrierte Ritual – auf mehr Vinylbucherlebnisse hoffend.“
Die Nachauflage bei beiden Vorreitern aus München ist jedenfalls gesichert: Vom „Hobbit“ wie auch vom „Krieg der Welten“ lagern die so genannten Stamper, quasi das produktionstechnische Negativ zur Herstellung der Schallplatte, vakuumverpackt im Archiv des Presswerks. Da ihre musikalischen Kollegen immer öfter „reaktiviert“ werden, stehen die Chancen nicht schlecht, dass auch das gesprochene Wort in guter alter analoger Form ein wachsendes Publikum findet.
Unser ganz eigenes Publikum, zu Halloween 2014, hatten wir jedenfalls. Klar, dass auch Papa ran musste (als „Seelendieb“ mit Flatterumhang), nachdem er den Artikel erstmal zur Seite gelegt hatte. Schließlich geht der Familien-Spaß vor: Wir lassen uns immer lustig-gruselige Gedichte einfallen, mit denen wir vor den Häusern die Geister vertreiben – damit die Menschen, denen Kinder willkommen sind und gerne die Tür aufmachen, eine richtig gute Show geliefert bekommen. Und bevor Sie fragen: Außerirdische haben wir nicht getroffen.